Berührungselektrizität
Kontaktelektrizität, Reibungselektrizität, Triboelectrification

Reibt man Bernstein an Wolle, kann er Fasern, Federchen u. ä. anziehen. Dies war bereits den alten Griechen bekannt. Bernstein hieß bei ihnen Elektron, der Ursprung des Wortes Elektrizität (die Bezeichnung "elektrisch" wurde 1600 von Hilbert eingeführt; "Elektrizität" 1650 von W. Charleton).

Reibt man einen Glas- oder einen Hartgummistab, findet man 2 verschiedene Arten der Elektrizität: Der glaselektrische Zustand wird als positiv (+) und der harzelektrische als negativ (-) bezeichnet (Dufay 1734, Lichtenberg 1778).
Beim Reiben entstehen stets gleichgroße, entgegengesetzte Ladungen. Elektrizität wird nicht erzeugt, sondern nur getrennt und in ihrer Wirkung zum Vorschein gebracht.

Heutzutage sind wir umgeben von Plastikgegenständen, die diese eigentümliche Reibungselektrizität zur Alltäglichkeit werden lässt und nur noch ein lästiges Übel darstellt, dem mit allerlei Kunstgriffen, wie eingewebte leitende Fasern, entgegengewirkt wird.
Ein wenig genauer
Berühren sich zwei unterschiedliche Materialien innig und werden dann getrennt, führt dies zu elektrisch geladenen Zuständen. Der Abstand der Materialien muss sehr klein werden (molekulare Größenordnung, 10-10 m). Es findet ein Elektronenfluss statt. Die Chemiker wissen, dass verschiedene Materialien Elektronen unterschiedlich stark anziehen und nennen es "Elektronegativität", Physiker sprechen von Elektronenkonzentration und Bänderspektrum. Da die meisten Materialien nicht flach oder flexibel genug sind, um sich an einer möglichst großen Grenzfläche berühren zu können, reicht es nicht, sie aneinander zu halten und dann wieder zu trennen. Ein inniger Kontakt entsteht beim Reiben gegeneinander, wobei ein Abrieb die Trennung der Materialien verhindert. Die Reibung ist nicht die Ursache der elektrischen Spannung, sie dient nur dazu, einen möglichst großen Teil der Oberfläche der Körper in enge Berührung zu bringen. Klebrige Substanzen, die rückstandsfrei wieder abgezogen werden können, sind ebenfalls bestens geeignet.

Aber: Übereinander liegende Plastikfolien knistern elektrisch beim Trennen, so z. B. manche Plastik-Schutzhüllen in Aktenordnern beim Umblättern. Zwei gleiche Materialien laden sich also auf? Dies ist nicht so, denn Plastik ist kein reines und homogenes Material. Die beiden sich berührenden Oberflächen sind nicht identisch, sie laden sich also auf. Ein klein wenig Schmutz, kaum wahrnehmbar, verstärkt diesen Effekt.

Es gibt Materialien, die Elektronen sehr gut durchlassen (die Leiter) oder sehr schlecht durchlassen (die Isolatoren) und die Materialien mittendrin. Im Hinblick auf die Berührungselektrizität gilt grob folgendes:
  • Leiter berührt Leiter: Volta-Effekt, Spannung ca. 1 V.
  • Leiter berührt Isolator: Der Leiter wird positiv geladen. Die besten festen Isolatoren sind Bernstein, Trolitul, Quarzglas, Hartgummi, Paraffin, Glimmer, Schwefel, Schellack (1016-1018 ohm/m). Kommt es bei einem Isolator auf seine Dielektrizitätskonstante, seinen Verlustwinkel oder seine Durchschlagsfestigkeit an, nennt man ihn Dielektrikum.
  • Isolator berührt Isolator: Die Substanz mit der kleineren Dielektrizitätskonstante wird negativ geladen. Die Substanz mit der größeren Dielektrizitätskonstante lädt sich positiv auf (Coehnsches Ladungsgesetz oder Coehnsche Aufladungsregel).

Es lässt sich eine Spannungsreihe aufstellen. Bei Kontakt mit einem in der Reihe folgenden Stoff entsteht eine positive Aufladung und bei Kontakt mit einem vorangehenden eine negative Aufladung. Diese Spannungsreihe kann genutzt werden, um z. B. einen unbekannten Kunststoff zu identifizieren, oder das beste Materialpaar für einen elektrostatischen Generator zu ermitteln.
Berührungselektrische Spannungsreihe
triboelectric series

Die angegebene Reihe ist bei verschiedenen Autoren unterschiedlich. Sie hängt ab von der Reinheit der Materialien insgesamt und von atomar dünnen Verunreinigungen der Materialoberflächen, also von Schmutzeffekten. Es ist günstig, möglichst weit entfernte Materialpaare beim Experimentieren zu benutzen, um die erwartete Polarität der erriebenen Elektrizität zu erhalten.

Die Zahlen in Klammern sind die Dielektritätskonstanten. Die Abkürzungen sind in der nächsten Tabellen erklärt.
plus

Leder (?)
Kaninchenfell (?)
Glass (2-10)
PA (4,0-5,0)
Wolle (?)
Katzenfell (?)
Seide (2,5-3,5)
Baumwolle (1.3-1.4)

Holz, trocken (2,6)
PMMA (?)
Siegellack (?)
Bernstein (2.6-2.9)
Polystyren (2,4-2,6)
PE (2,2-2,4)
Schwefel (1,6-1,7)
Hartgummi (2.7-3.0)
UP (2,8-4,5)
PS (?)
PAN (?)
PUR (?)
PP (1,5)
PVC (3,4)
PE (2,2-2,4)
PTFE (2,0)
minus
Kunststoffe
Handelsname(n) in eckigen Klammern
[Teflon] ist kein eindeutiges Material !
Abkürzung Dielektritäts-
konstante
Acrylester-Styrol-Acrylnitril-Terpolymer ASA ?
Acrylnitril-Butadien-Styrol-Terpolymer ABS ?
Butadienkautschuk BR ?
Butylkautschuk, Isobutylen-Isopren-Kautschuk IIR ?
Celluloseester CA, CP, CAB ?
Chloroprenkautschuk [Neopren] CR 6-9
Cycloolefincopolymer COC ?
Epichlorhydrinkautschuk CO, ECO, ETER ?
Epoxidharze EP-Harze ?
Ethylen-Chlortrifluorethylen-Copolymer C-CTFE ?
Ethylen-Tetrafluorethylen-Copolymer ETFE ?
Ethylen-Vinylacetat-Kautschuk EAM ?
Fluorkautschuk FKM ?
Harnstoff-Formaldehyd UF ?
Isoprenkautschuk IR ?
Melamin-Formaldehyd MF ?
Melamin-Phenol-Formaldehyd MP ?
Naturkautschuk NR ?
Nitrilkautschuk, Acrylnitril-Butadien-Kautschuk NBR ?
Perfluoralkoxy-Copolymer PFA, TFA ?
Perfluorethylenpropylen-Copolymer [Teflon] FEP 2,1
Phenol-Formaldehyd PF ?
Phenolharze [Bakelit] ? 3,5-6
Polimid PI ?
Polyacetal POM 3,6-3,7
Polyacrylat [Plexiglas] ? 3-4
Polyacrylnitril [Orlon] PAN ?
Polyamid [Igamid, Nylon] PA 2,5-2,6
Polyamid [Nylon] PA 4-5
Polybutylen PB 2,2-2,3
Polybutylenterphtalat PBT ?
Polycarbonat PC 2,9-3,0
Polychlortrifluorethylen [Teflon] PCTFE 2,3-2,8
Polyesterharze, ungesättigt UP-Harze ?
Polyetheretherketon PEEK ?
Polyethylen, Polyäthylen [Lupolen] PE 2,2-2,4
Polyethylen, chlorsulfoniert CSM ?
Polyethylenterphtalat PET ?
Polyisobutylen [Oppanol] PIB 2,2-2,3
Polymethylmethacrylat [Acrylglas] PMMA ?
Polyphenylether PPE ?
Polypropylen PP 1,5
Polystyrol [Trolitul] PS 2,0-2,7
Polystyrol, schlagfest SB ?
Polysulfidkautschuk, Thioplaste ? ?
Polysulfon PSU ?
Polytetrafluorethylen [Teflon] PTFE 2,0
Polyurethan PUR ?
Polyurethankautschuk TPU ?
Polyvinylcarbazol PVK ?
Polyvinylchlorid, hart PVC 3,4
Polyvinylchlorid, weich [Igelit, Vinidur, Mipolam] PVC 4-6,5
Polyvinylfluorid PVF ?
Polyvinylidenchlorid PVDC ?
Polyvinylidenfluorid PVDF ?
Polyvinylkarbazol [Luvikan] ? 3,0
Styrol-Acrylnitril-Copolymerisat SAN ?
Styrol-Butadien-Kautschuk SBR ?
Thylen-Propylen-Kautschuk EPM, EPDM ?
Ein wenig Historie
Otto von Guericke (der mit den Magdeburger Halbkugeln) fand heraus, dass sich Schwefel wie Bernstein verhält. Er baute 1663 (1671 ?) die erste elektrostatische Maschine: Eine Schwefelkugel, die mit der Hand gerieben wird.

Aus diesem Urtyp wurden in den folgenden Jahrhunderten sehr viele Abarten ersonnen und gebaut.
Abbé Nollet baute ca. 1740 eine Maschine, die auf Guericke's geriebener Schwefelkugel basiert. Er benutzte eine Glaskugel mit einer Handkurbel für dauerhaften Antrieb.

Er war Physiklehrer der königlichen Kinder, und Demonstrationen mit diesen Maschinen begannen in Mode zu kommen.

Ein Knabe hängt an isolierenden Schnüren aus Rosshaar und auf einem Schemel unter ihm liegen Papierschnitzelchen und Stanniolflitter. Sobald die aufgeladene Glaskugel einer Elektrisiermaschine an die Fußsohlen des Knaben gehalten wurde, flogen diesem die Schnitzelchen an den Körper.

Zu den beliebten Vergnügungen gehörte auch der elektrische Kuss. Die elektrisierte Dame steht auf einem isolierenden Schemel, während der erwartungsvolle Herr geerdet ist.
Außer zur Belustigung wurde die Reibungselektrizität für die Behandlung von Krankheiten eingesetzt.
1766 wurde von Ramsden die erste Maschine mit einer Scheibe gebaut.
1770 entwickelte Nairne eine Maschine mit einem Glaszylinder
1840 hat Armstrong eine dampfbetriebene hydroelektrische Maschine erfunden. Genutzt wird die Aufladung beim Austreten eines Dampfstrahls aus engen Glasröhren, gemischt mit Wassertropfen.
Hier eine Abbildung der Winter-Maschine von 1920, eine sehr effiziente Maschine und eine der letzten, die populär wurde. Die Reibung findet auf beiden Seiten einer Platte statt.
Lorente's elektrostatischer Generator ist eine sehr moderne Maschine und aufgebaut wie eine altmodische Wäschemangel. Vier Zylinder rollen mit leichtem Druck aufeinander. Die beiden äußeren bestehen aus Metall, die beiden inneren aus Nylon und Teflon (diese Kombination erzeugt eine besonders hohe Kontaktspannung).

Die Basismaschine liefert 30.000-50.000 Volt, bei einem Strom von ein paar Mikroampere. Es können aber mehrere Module zur Erzeugung von höheren Spannungen hintereinander geschaltet werden.


Eine koaxiale Version ist ebenfalls möglich:

Ein wenig Basteln
Einem "Nachbau" dieser Maschinen steht heute nichts im Weg: man nehme eine alte Vinyl-Schallplatte oder eine zylindrische Plastik-Getränkeflasche und los geht's. Aber Vorsicht...

Ein PVC-Rohr, ein Stück Baumwolltuch, fertig. Reibt man kräftig, so sind im Dunkeln kleine Blitze zu sehen.


Das Ganze kann perfektioniert werden, indem man das Rohr nahe einer kleinen Metallbürste bewegt, die mit einer Leydener Flasche verbunden ist. Dann lassen sich ansehnliche Blitze erzeugen. Es ist ratsam, die Hand mit dem Tuch zu erden, damit man sich nicht selbst auflädt.

Man klebe ein Stück Fell auf ein Metallblech, lege eine Plastikflasche darauf und bringe oben ein dünnes Blech zum Abnehmen der Ladungen an. Dreht man die Flasche, hat man eine Reibungselektrisiermaschine, die eine Leydener Flasche aufladen kann.

Ein wenig Feuchtigkeit
Bei ansteigender relativer Luftfeuchte (rL) steigt auch die Leitfähigkeit der Oberflächen von Isolatoren. Die erzeugte Reibungselektrizität entschwindet mehr oder minder schnell; unter 50% rL ist ideal, über 60% rL ist ungünstig, bei über 70% rL versagen manche elektrostatische Effekte. Ein Hygrometer ist hilfreich. Abhilfe bei zu feuchtem Wetter (insbesondere im Sommer):
  • Erwärmen der Luft mit einem elektrischen Föhn. Die rL sinkt bei ansteigender Lufttemperatur.
  • Erwärmen der Geräte mit einer Rotlichtlampe.
  • Sorgfältiges Reinigen der isolierenden Teile von Staub (Spitzeneffekt), Verschmutzungen, fettigen Fingerabdrücken z. B. mit Isopropylalkohol.
  • Trockenhalten der Geräte in einem Behältnis, in dem sich Beutel mit Silika-Gel befinden.
  • Polieren der leitenden Teile; scharfe Kanten und Spitzen vermeiden.
  • Einschalten der Klimaanlage, sofern vorhanden.
Bei sehr trockenem Wetter können ebenfalls manche Experimente versagen. Wenn nämlich die aufzuladenden Isolatoren derart gut isolieren, dass sich keinerlei Ladungen auf ihnen verteilen.

Zurück zu "Elektrisches" Letzte Änderung 16.9.2001