Wie die Schildbürger ratseinig wurden,
ein neues Rathaus zu bauen und was sich damit begeben hat Verfasser unbekannt Am folgenden Tage wurde die Gemeinde wieder zusammenberufen, um zu beraten, mit welcher Narrheit sie beginnen wollten. Man kam überein, den guten Anfang mit dem Bau eines neuen Rathauses zu machen und alle erboten sich, mit Leib und Gut dabei behilflich zu sein. So dumm stellten sie sich nun doch nicht an, dass sie nicht gewusst hätten, man müsste Bauholz und anderes Material zu dem Bau haben. Deshalb zogen sie einmütiglich miteinander in den Wald, jenseits eines Berges, um hier im Tale das Bauholz zu fällen. Als es von den Ästen gesäubert und ordentlich zugerichtet war, wünschten sie nichts anderes, als eine Armbrust zu haben, auf der sie es heimschießen könnten. Durch ein solches Mittel, meinten sie, würden sie unsäglicher Mühe überhoben sein. So aber mussten sie die Arbeit selbst verrichten und schleppten sämtliches Bauholz den Berg hinauf und jenseits mit vieler Mühe wieder hinab. Unter vielem Schnaufen und Atemholen waren sie damit zu Ende gekommen bis auf einen mächtigen Baumstamm, den sie, mit Seilen umbunden, mühsam hinauf und dann wieder jenseits vor sich hinabschoben. Da, auf der Hälfte des Weges, rissen die Stricke und das Holz rollte von selbst den Berg hinab. Darüber verwunderten sich die Schildbürger sehr. "Was sind wir alle für große Narren!", riefen sie wie aus einem Munde, "was hätten wir uns da für Mühe und Arbeit sparen können!" - "Ei", meinte ein anderer, "der Schaden lässt sich leicht wieder gutmachen. Lasst uns doch die Hölzer wieder auf den Berg hinaufschieben, so können wir sie von selbst wieder hinunterrollen lassen! Dann haben wir mit Zusehen unsere Lust und werden für unsere Mühe belohnt." Solcher Rat gefiel allen Schildbürgern über die Maßen wohl. Sie schämten sich einer vor dem andern, dass sie nicht selbst so witzig gewesen waren und trugen nun das Holz wieder mühsam den Berg hinauf. Nur den einen Klotz, der von selbst die Hälfte des Berges hinabgerollt war, zogen sie nicht wieder herauf, sondern ließen ihn zur Belohnung seiner Klugheit unten liegen. Als alle Hölzer oben waren, ließen sie dieselben allmählich eins nach dem andern den Berg hinabrollen und freuten sich wie Kinder darüber. Ja, sie waren so stolz auf die erste Probe ihrer Narrheit, dass sie fröhlich ins Wirtshaus zogen und dort ein großes Loch in den Stadtsäckel zechten. Nachdem das Bauholz gefügt und gezimmert, auch Stein, Sand und Kalk herbeigeschafft waren, fingen die Schildbürger ihren Bau mit großem Eifer an. In wenigen Tagen hatten sie die drei Hauptmauern von Grund aus aufgeführt, denn weil sie etwas Besonderes haben wollten, so sollte der Bau dreieckig werden. Auch aller Einbau ward bald vollendet. Doch ließen sie an einer Seite ein großes Tor in der Mauer offen, um das Heu, das der Gemeinde zuständig war, hineinfahren zu können. Dies Tor kam denn auch dem Herrn Schultheiß gut zustatten, denn sonst hätte dieser samt seinen Gerichts- und Ratsherren über das Dach einsteigen müssen, was doch allzu unbequem und dazu halsbrechend gewesen wäre. Hierauf machten sie sich an den Dachstuhl, der nach den drei Ecken des Baues dreifach abgeteilt werden musste. Tags darauf ward mit der Glocke das Zeichen gegeben - und da kamen alle Schildbürger, so viel ihrer waren, zusammen, stiegen auf den Dachstuhl und fingen an, ihr Rathaus zu decken. Sie standen alle hintereinander, die einen oben auf dem Dachstuhl, die anderen unten, etliche noch auf der Leiter, wieder andere auf der Erde nahe der Leiter und fort bis zum Ziegelhaufen. Auf solche Weise ging jeder Ziegel durch aller Schildbürger Hände vom ersten, der ihn aufhob bis zum letzten, der ihn auf die richtige Stelle legte, damit ein Dach daraus würde. Wie man aber willige Rosse nicht übertreiben soll, so hatten sie die Anordnung getroffen, dass zu einer gewissen Stunde die Glocke geläutet werden sollte zum Zeichen des Ausruhens. Wenn nun der nächste beim Ziegelhaufen den ersten Ton der Glocke hörte, so ließ er den Ziegel, den er schon aufgehoben hatte, sofort wieder fallen und eilte so schnell er konnte, dem Wirtshause zu, um sich hier gütlich zu tun. Endlich nach vollendetem Werke wollten die Schildbürger ins Rathaus gehen, um es einzuweihen und dann zu versuchen, wie es sich darin raten ließe. Aber als sie hineinkamen, war es stockfinster, dass keiner den andern sehen konnte und sie sich mit den Köpfen aneinander stießen. Darüber erschraken sie nicht wenig und verwunderten sich gar sehr, denn sie konnten nicht ergründen, was doch die Ursache sein möchte. Vielleicht, meinten sie, sei ein Fehler beim Bau gemacht, wodurch das Licht aufgehalten würde. So gingen sie denn zu ihrem Heutor wieder hinaus, um zu erforschen, wo sich der Mangel befände. Da standen alle die Mauern ganz vollständig da; das Dach saß ordentlich drauf; auch an Licht mangelte es draußen nicht. Sobald sie aber wieder hineinkamen, um zu forschen, ob der Fehler drinnen läge, da war es wieder finster wie vorhin. Die wahre Ursache aber, dass sie die Fenster an ihrem Rathause vergessen hatten, konnten sie nicht finden und erraten, so sehr sie auch ihre närrischen Köpfe darob zerbrachen. Als nun der bestimmte Beratungstag gekommen war, erschienen die Schildbürger zahlreich und nahmen ihre Plätze ein. Ein jeder hatte einen angezündeten Lichtspan mitgebracht und denselben auf seinen Hut gesteckt, damit sie im dunklen Rathause einander sehen konnten. Da nun Umfrage gehalten wurde, wie man sich bei dem vorgefallenen Handel verhalten müsste, kamen viel widersprechende Meinungen zu Tage. Die meisten schienen dahin zu neigen, man müsste den ganzen Bau wieder abbrechen und auf's Neue aufführen. Zuletzt trat einer hervor, der sprach: "Wer weiß, ob das Licht und der Tag sich nicht in einem Sack tragen ließen, gleichwie das Wasser in einem Eimer getragen wird? Unser keiner hat es jemals versucht, darum, so es Euch gefällt, wollen wir drangehen. Gerät es, haben wir's um so besser und werden als Erfinder dieser Kunst großes Lob erjagen. Geht's aber nicht, so tut's jedenfalls auch keinen Schaden." Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern dermaßen, dass sie beschlossen, ihm in aller Eile nachzuleben. Deswegen kamen sie gleich nach Mittag um ein Uhr, wo die Sonne am hellsten scheint, alle vor das Rathaus, ein jeder mit einem Gefäß, in das er den Tag einzufangen gedachte. Einige brachten auch Schaufeln und Gabeln mit, damit sie ja nichts versäumten. Viele hatten lange Säcke, da hinein ließen sie die Sonne scheinen bis auf den Boden. Dann knüpften sie den Sack eilends zu und rannten damit ins Rathaus, um den Tag und das Licht auszuschütten. Andere wieder taten dasselbe mit verdeckten Gefäßen, als Kesseln, Zubern, Fässern und dergleichen mehr. Einer lud den Tag mit einer Strohgabel in einen Korb, ein anderer grub ihn mit einer Schaufel aus der Erde hervor. Eines Schildbürgers aber soll besonders gedacht werden: Der wollte den Tag mit einer Mausefalle fangen und ihn so ins Haus tragen. Jeder verhielt sich, wie es sein Kopf ihm eingab. Und das trieben sie denselben ganzen Tag, so lange die Sonne schien, mit solchem Eifer, dass sie alle darob ermüdeten und vor Hitze erlechzten und unter der Müdigkeit fast erlagen. Aber sie richteten mit solcher Arbeit ebenso wenig aus, als vorzeiten die ungeheuren Riesen, die große Berge nach Hause trugen, um den Himmel zu erstürmen. Darum sprachen sie zuletzt: "Nun, es wäre doch eine feine Kunst gewesen, wenn's geraten wäre!" Also zogen sie ab und hatten dennoch so viel gewonnen, dass sie auf gemeine Kosten zum Weine gehen und sich so wieder erquicken und laben durften. Erst nach langer Zeit, als ein Schildbürger von ungefähr einen Lichtstrahl durch einen Riss in der Mauer gewahr wurde, kamen sie darauf, dass sie keine Fenster an das Haus gemacht hatten, wodurch das Licht hätte einfallen können. |